Große Ängste, kleine Schritte, kleine Wunder …

Die jüngste Teilnehmerin unseres Hunde-Einmaleins für Kinder hat mich schwer beeindruckt. Die Mutter berichtete vorab, dass sie im Alltag extrem ängstlich auf Hunde reagiert, seit ihr ein Hund von hinten unvermittelt ein Brötchen aus der Hand stibitzt hatte. Das verstehe ich gut! War aber auch echt rotzfrech von dem Kollegen! Viele Hundehalter, die ihre Hunde unkontrolliert zu Kindern laufen lassen, ahnen nicht mal ansatzweise, was eine solch schockierende Erfahrung für ein Kind für Folgen haben kann! Das Mädchen hat zum Glück Eltern, die das sofort erkannten, ernst nahmen und etwas dagegen tun wollten. Unser Kurs kam ihnen da genau richtig!

Frauchen vereinbarte zunächst ein Vorab-Treffen zum wechselseitigem Kennenlernen – zur Vertrauensbildung für das Kind und zur Einschätzung der Situation für uns. Mit Angst und Respekt kann ich als Hund prima umgehen, eine Phobie oder Panik hingegen benötigt eine anderes Setting und/oder eine professionelle therapeutische Begleitung. Die hab ich leider nicht drauf 🤣.

Ein entspanntes Foto gelingt mit sicherem Abstand

Wir trafen uns zu einem Waldspaziergang, bei dem auch die kleinere Schwester dabei war. Das Mädel war mir auf den ersten Blick super-sympathisch. Sie ähnelte mir im Bezug auf Kontaktaufnahme sehr – erst mal gaaaaanz langsam und vorsichtig, aus sicherer Entfernung alles beobachten, sacken lassen, sich eine eigene Meinung bilden und dann vielleicht einem klitzekleinen Schritt nach vorne gehen – aber keinesfalls unter Druck oder zu schnell! Das war so ganz nach meinem Geschmack! Darin bin ich Profi! Ich hasse es ebenfalls, wenn mir jemand zu schnell zu nahe kommt! 

Wir ließen uns erst mal gegenseitig in Ruhe und liefen eine Weile als Rudel gemeinsam in dieselbe Richtung – ich an der Leine mit Frauchen und sie an der Hand ihrer Mutter. Schon nach kurzer Zeit stimmte sie zu, dass ich frei laufe – solange ich ihr nicht zu nahe komme. Das war Frauchens Aufgabe. Sie merkte schnell, dass Frauchen mich sehr gut steuern und kontrollieren konnte und ich auf Zuruf oder Ansprache sofort die Richtung wechselte. Das gab ihr Sicherheit.

Ganz stolz hält sie die Leine und führt mich ein Stück des Weges ganz alleine – eine tolle Erfahrung!

Bei dieser ersten Begegnung ließ ich sie spüren, dass ich ihre Individualdistanz respektiere und achte und sie auch von Frauchen zu nichts gedrängt wird. Sie allein konnte entscheiden, ob und wann sie den nächsten Schritt macht, wie groß dieser ist und wie nah sie mir kommen möchte. Auf dem Rückweg konnte sie schon die Leine in der Hand halten (zumindest solange ich mich von ihr weg bewegte) – auch wenn Sie sich beim Fototermin oben auf der Bank sehr viel sicherer fühlte. 

Zuschauen aus sicherer Distanz – aber mit deutlicher Anspannung

Einer Kurs-Teilnahme stand somit nichts mehr im Wege! Während der Kursstunden beobachtete sie das Geschehen aufmerksam vom Rand aus, nahm an den Übungen und Gesprächen allerdings nur passiv teil und sprach kaum ein Wort. Ab und an glänzten jedoch ihre Augen und ihre Körpersprache wurde von mal zu mal entspannter. Ich konnte deutlich spüren, dass sie vom Thema Hund begeistert und fasziniert war. Frauchen schloss sich zwischen den Kurseinheiten immer wieder mit der Mutter kurz, um sich zu vergewissern, dass unser Weg der richtige war. Tja, in der Wahrnehmung der Befindlichkeiten von anderen Lebewesen haben wir Hunde den Menschen schon einiges voraus! Aber genau dafür sind wir ja da.

Bei den statischen Einheiten war sie sehr aufmerksam dabei
und konnte meine Anwesenheit akzeptieren

Wich das Mädchen anfangs bei jeder noch so zufälligen Annäherung ängstlich zurück, konnte sie ganz allmählich zulassen, dass ich mich in ihrer unmittelbaren Nähe aufhielt, an ihr vorbeilief und sie streifte oder auch unter ihrem Stuhl mal den Ball herausholte. Alle Kinder achteten mit darauf, dass ich nie frontal auf sie zulief. Die Jungs haben das richtig toll gemacht: Sie stellten sich dann zwischen uns und schirmten sie ab oder schickten mich weg. Das war richtig klasse, denn ich konnte ja auch nicht immer an alles denken!

In der dritten Stunde bereits begann sie vorsichtig  mit direkter Interaktion. Sie warf mir erstmals mal einen Ball, dann ein Leckerchen und hielt schließlich sogar den Reifen, durch den ich hindurchsprang. 

Bei aller Zurückhaltung im Kurs berichtete sie zu Hause stets begeistert, was sie alles gelernt hatte! Die Fotos vom ersten Treffen mit mir hat sie sich sogar über ihr Bett gehängt. Eine sehr schöne Bestätigung, dass wir auf einem guten Weg waren!

Dummy verstecken

In der vorletzten Stunde war eine Abschluss-Aufführung für die Eltern vorgesehen. Jedes der Kinder durfte sich einige Übungen auswählen und mit mir gemeinsam zeigen. Noch bei der Vorbereitung dazu stand sie passiv am Rand. Sie wollte allerdings den Dummy für mich verstecken – ihre Lieblingsübung!

Und kaum waren die Eltern da, hat sie uns alle überrascht! Zuerst machte sie mit mir eine Übung, die sich keines der Kinder zuvor getraut hatte: der Sprung durch die Arme (mit Poolnudel).

Danach schnappte sich fest entschlossen meine Leine und marschierte ganz alleine mit mir im Slalom um die Pylonen! Als Frauchen vorschlug, das ohne Leine zu wiederholen, setzte sie noch eins drauf: sie nahm wie selbstverständlich ein Leckerchen in die Hand und wir liefen wie absolute Profis im Zickzack bei Fuß um die Hindernisse, als hätten wir nie etwas anderes getan! 👏🏻 👏🏻 👏🏻 Es gab einen riesigen Applaus von den Eltern und den anderen Kindern und wir waren beide unglaublich stolz! Zur Krönung durfte ich sogar ein Leckerli direkt von ihrem Schuh nehmen 😊!

Das erste Mal, dass wir intensiv miteinander kommunizierten und sie sogar ganz entspannt meine Berührung zulassen konnte!

Mich hat danach noch eine ganz andere, eher leise Szene am Rande ganz besonders berührt. Als ich beim Spielen mit den anderen Kindern kurz darauf aus Versehen auf sie zu rannte …… blieb sie einfach ganz ruhig stehen – obwohl ihr das nach wie vor sichtlich unangenehm war! Genau so hatte ich das mit den anderen Kindern im Kurs mehrfach geübt. Offensichtlich hat sie dies allein durch die Beobachtung verinnerlicht! So können wir nun einigermaßen sicher sein, dass sie bei der nächsten Hundebegegnung im Alltag nicht vor Schreck auf die Straße springt oder sich anderweitig in Gefahr bringt! Damit ist das erste Etappenziel erreicht.  Sie ist übrigens wild entschlossen, beim nächsten Kurs im Herbst wieder mit dabei zu sein! Ich freu mich sehr darauf!

Es sind oft die kleinen, unscheinbaren Dinge, die ganz viel bewirken! Jedes Lebewesen hat sein eigenes Tempo. Und manch einer – so wie sie und ich – schaut sich die Dinge eben erst mal lange und genau an, bildet sich seine eigene Meinung und entscheidet, wann für ihn der richtige Moment zur Umsetzung da ist! Wir Hunde wissen das längst und können Euch Menschen in dieser Hinsicht einiges lehren – Ihr müsst uns lediglich zuhören!

Gelöster Blick

Herzlichen Dank an die Eltern für das Vertrauen in unsere Arbeit und die Fotofreigabe!

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